Rilke konnte ich nie wirklich leiden. Er ist schon verdammt gut, aber mir gefällt sein Ton meistens nicht.
Nietzsches Prosa gefällt mir in der Regel besser als seine Lyrik; hier mal der Anfang von "Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben":
Zitat:
Betrachte die Herde, die an dir vorüberweidet: sie weiß nicht, was Gestern, was Heute ist, springt umher, frißt, ruht, verdaut, springt wieder, und so vom Morgen bis zur Nacht und von Tage zu tage, kurz angebunden mit ihrer Lust und Unlust, nämlich an den Pflock des Augenblicks, und deshalb weder schwermütig noch überdrüssig.
Das ist wie Lyrik gearbeitet. Jede Silbe sitzt.
Hier mal was ganz anderes:
Pablo Neruda (1935): Melancholie in den Familien / hat geschrieben:
Ich bewahre eine blaue Flasche auf
und in ihr ein Ohr und ein Bildnis:
wenn die Nacht das Gefieder
der Eule treibt,
wenn der heisere Kirschbaum
sich die Lippen zerfetzt und mit Rinden
droht, die der Seewind oftmals durchlöchert,
so weiß ich, daß es große versunkene Regionen gibt,
Barren von Quarz
Schlamm,
blaue Wasser für eine Schlacht,
viel Schweigen, viele
Flöze geologischen Alters und Adern von Kampfer
heruntergefallene Dinge, Medaillen, Zärtlichkeiten,
Fallschirme, Küsse.
Nichts als der Schritt eines Tages zum andern ist,
eine eine einsame Flasche, die durch die Meere wandert,
und ein Speisezimmer, wohin Rosen gelangen,
ein Speisezimmer, übriggelassen
wie eine Gräte: ich rede
von einem zersprungenen Trinkglas, von einer Gardine, von der Tiefe
eines verödeten Zimmers, durch das ein Fluß strömt,
der die Steine mit sich reißt. Es ist ein Haus,
das auf den Grundfesten des Regens steht,
ein zweistöckiges Haus mit obligaten Fenstern
und Ranken von unbedingter Treue.
Ich gehe durch die Abende, ich trete ein,
voll von Schmerz und Tod,
das Erdreich mit mir schleifend, seine Wurzeln
und seinen unbegrenzten Bauch, in dem Leichen
schlafen bei Korn,
Metalle, herabgestürzte Elefanten.
Aber vor allem ist da ein schreckliches,
ein schrecklich verödetes Speisezimmer
mit zersprungenen Ölkrügen
und Essig, der unter den Stühlen rinnt,
ein eingefangenen Strahl des Mondes,
etwas Dunklem, und ich suche
in mir nach einem Vergleich:
vielleicht ist es ein Laden, ganz von Meer umringt,
und Salzbrühe trieft aus zerschlissenen Kleidern.
Es ist nur ein verödetes Speisezimmer
und ringsherum sind endlos Weiten,
überschwemmte Fabrikhallen, Hölzer,
die ich allein kenne,
weil ich traurig bin und unterwegs
und die Erde kenne und ich traurig bin.
Und Brecht:
Bertolt Brecht (1917): Von einem Maler / hat geschrieben:
Neher Cass reitet auf dem Dromedar durch die Sandwüste und malt
mit Wasserfarben eine grüne Dattelpalme.
(Unter schwerem Maschinengewehrfeuer.)
Es ist Krieg. Der furchtbare Himmel ist blauer als sonst.
Mancher fällt tot in das Sumpfgras.
Man kann braune Männer tot schießen. Abends kann man sie malen.
Sie haben oft merkwürdige Hände.
Neher Cass malt den bleichen Himmel über dem Ganges im Frühwind.
Sieben Kulis halten seine Leinwand;
vierzehn Kulis halten Neher Cass, der getrunken hat
weil der Himmel schön ist.
Neher Cass schläft nachts auf den Steinen und flucht, weil sie hart sind.
Aber er findet auch das schön. (Das Fluchen inbegriffen.)
Er würde es gern malen.
Neher Cass malt den violetten Himmel über Petschawar weiß:
weil er kein Blau mehr in der Tube hat.
Ihn frißt langsam die Sonne. Seine Seele verklärt sich. Neher Cas malt immerdar.
Auf der See von Ceylon nach Port Said malt er
auf die Innenwand des alten Segelschiffes
sein bestes Bild mit drei Farben, beim Licht zweier Luken.
Dann ging das Schiff unter, er rettet sich.
Auf das Bild ist Cass stolz. Es war unverkäuflich.