Derzeit geht ein Raunen durch die Gamer-Szene, und zwar aufgrund einer moralisch zweifelhaften Spielmission aus Call of Duty: Modern Warfare 2, das in diesen Tagen erscheinen soll:
GameStar.de hat geschrieben:
Einer der Protagonisten des Spiels, in dessen Rolle Sie schlüpfen, wurde undercover in eine russische Terrorgruppe eingeschleust. Auf einem der Einsätze richtet die Gruppe auf einem Flughafen ein Blutbad unter Zivilisten an, schießt auf wehrlose Passagiere, streckt panisch schreiende Verwundete final nieder - ein Massaker. Man muss diese Szene übrigens nicht spielen, sie lässt sich überspringen. Aber wer lässt sich schon freiwillig einen ganzen Abschnitt eines ohnehin sehr kurzen und teuren Stücks digitaler Unterhaltung entgehen? Und vor allem: Warum wurde sie dann überhaupt programmiert, welchen Zweck erfüllt die Terror-Horror-Sequenz?
Die besagte Szene kann man sich etwa
hier ansehen. Mir geht's nun weniger um die persönliche Gut-oder-Böse-Beurteilung dieses Levels, sondern mehr um die Betrachtung des allgemeinen Konsens, der sich offenbar nach und nach durchsetzt: Die Szene sei eine Geschmacklosigkeit und habe in einem solchen Spiel nichts zu suchen, meint etwa die GamePro in ihrer
Kolumne (die scheinbar identisch bei GameStar erschienen ist) und gibt dem Spiel eine Wertung von 93%.
Steckt da nicht eine gewisse unfreiwillige Komik dahinter, die das ganze Fundament bröckeln lässt?
So lange man virtuell Nazis, Vietcongs oder eben Terroristen tötet, ist alles ok, man muss halt nur auf der richtigen Seite sein - sobald aber die Perspektive gewechselt wird, ist das virtuelle Töten moralisch nicht mehr vertretbar? Und vor allem war CoD schon immer mehr eine Kriegssimulation als ein Spiel, das durch die Geschichte, die es erzählt, fesselt - es geht den Entwicklern also vor allem darum, die verschiedenen Kriegsschauplätze so realistisch wie möglich zu simulieren; doch dieser Realismus ist offenbar nur unter Ausblendung eines Teils der Realität erwünscht. Aber dieses Ausblenden unerwünschter Inhalte läuft dem Konzept des Realismus zuwider, das jeder Spieler von CoD stillschweigend akzeptiert, ist also in sich widersprüchlich. Es sei denn, und das ist der Punkt: Es sei denn, man geht von der Voraussetzung aus, dass es ein richtiges und ein böses Töten gibt. Ich glaube nur, dass nicht alle GameStar-Redakteure diesen Standpunkt unterschreiben würden. Dann aber darf man sich den moralischen Zeigefinger in diesem Fall nicht erlauben.
Jedenfalls musste ich an folgendes denken:
Georg Büchner hat geschrieben:
Was übrigens die sogenannte Unsittlichkeit meines Buchs angeht, so habe ich Folgendes zu antworten: der Dramatische Dichter ist in meinen Augen nichts, als ein Geschichtsschreiber, steht aber über Letzterem dadurch, daß er uns die Geschichte zum zweiten Mal erschafft und uns gleich unmittelbar, statt eine trockene Erzählung zu geben, in das Leben einer Zeit hinein versetzt, uns statt Charakteristiken Charaktere, und statt Beschreibungen Gestalten gibt. Seine höchste Aufgabe ist, der Geschichte, wie sie sich wirklich begeben, so nahe als möglich zu kommen. Sein Buch darf weder sittlicher noch unsittlicher sein, als die Geschichte selbst; aber die Geschichte ist vom lieben Herrgott nicht zu einer Lektüre für junge Frauenzimmer geschaffen worden, und da ist es mir auch nicht übel zu nehmen, wenn mein Drama ebensowenig dazu geeignet ist. Ich kann doch aus meinem Danton und den Banditen der Revolution nicht Tugendhelden machen! Wenn ich ihre Liederlichkeit schildern wollte, so mußte ich sie eben liederlich sein, wenn ich ihre Gottlosigkeit zeigen wollte, so mußte ich sie eben wie Atheisten sprechen lassen. Wenn einige unanständige Ausdrücke vorkommen, so denke man an die weltbekannte, obszöne Sprache der damaligen Zeit, wozu das, was ich meine Leute sagen lasse, nur ein schwacher Abriß ist. Man könnte mir nur noch vorwerfen, daß ich einen solchen Stoff gewählt hätte. Aber der Entwurf ist längst widerlegt. Wollte man ihn gelten lassen, so müßten die größten Meisterwerke der Poesie verworfen werden. Der Dichter ist kein Lehrer der Moral, er erfindert und schafft Gestalten, er macht vergangene Zeiten wieder aufleben, und die Leute mögen dann darus lernen, so gut, wie aus dem Studium der Geschichte und der Beobachtung dessen, was im menschlichen Leben um sie herum vorgeht. Wenn man so wollte, dürfte man keine Geschichte studieren, weil sehr viele unmoralische Dinge darin erzählt werden, müßte mit verbundenen Augen über die Gasse gehen, weil man sonst Unanständigkeiten sehen könnte, und müßte über einen Gott Zeter schreien, der eine Welt erschaffen, worauf so viele Liederlichkeiten vorfallen. Wenn man mir übrigens noch sagen wollte, der Dichter müsse die Welt nicht zeigen wie sie ist, sondern wie sie sein solle, so antworte ich, daß ich es nicht besser machen will, als der liebe Gott, der die Welt gewiß gemacht hat, wie sie sein soll. Was noch die sogenannten Idealdichter anbetrifft, so finde ich, daß sie fast nichts als Marionetten mit himmelblauen Nasen und affektiertem Pathos, aber nicht Menschen von Fleisch und Blut gegeben haben, deren Leid und Freude mich mitempfinden macht, und deren Tun und Handeln mir Abscheu oder Bewunderung einflößt.