Review der US-Version
von Nijohc
Mit
einer optisch deutlich gepushten Umsetzung von Game Arts 94´er
Mega-CD Klassiker "Lunar - Silver Star Story" zeigt
Working Designs der Konkurrenz einmal mehr, wie eine RPG-Umsetzung
auszusehen hat. Das Spiel kommt in einer für westliche Verhältnisse
einmalig aufwendigen Edelbox daher. Diese allein schindet bei
RPG-Fans bereits mehr Eindruck als die theoretischen Leistungsdaten
sämtlicher next-generation Konsolen: Im Lieferumfang befindet
sich zur Freude aller Sammler neben den zwei selten hübsch
bedruckten Game-CDs auch noch ein "making-of" und eine
Soundtrack-CD. Das gebundene Lederbooklet hinterlässt ebenfalls
einen bleibenden, äußerst positiven Eindruck.
Die
Musikstücke im Spiel wurden gegenüber der Mega-CD Version
teilweise ausgetauscht, passen aber weiterhin wunderbar zum Spiel.
Leider hat WD lediglich die PSX-Stücke auf die Soundtrack
CD gepackt und es somit versäumt einige der fehlenden Originalstücke
mit einzuspielen. Das war dann allerdings auch schon fast der
einzige Kritikpunkt, der ich Lunar SSSC anzukreiden hätte.
Freilich werden reine Polygon- und Renderfetischisten mit Lunars
handgezeichneter Bitmapgraphik nicht allzu glücklich werden,
Fans klassischer 2D-RPG Spiele werden den atmosphärischen
und warmen Grafikstil jedoch umgehend ins Herz schließen.
Wer sich (auch als Neueinsteiger) die Mühe macht, sich auf
den "altertümlichen" Grafikstil einzulassen, wird
mit excellent ausgearbeiteten Charakteren und einer mal witzigen,
mal tragischen, aber zu jeder Zeit äußerst unterhaltsamen
Story belohnt.
Diese
spielt in einer Fantasywelt und handelt von dem jungen Alex, der
sich vorgenommen hat, ein Dragonmaster zu werden. Alex will im
Grunde "nur" ein großes Abenteur erleben und macht
sich mit seiner beeindruckend singenden Halbschwester Lunar, dem
übergewichtigem und geschäftigem Ramus und der ewig
vorlauten Drachen/Katzen-Kreuzung Nall auf, ganz nach seinem großem
Vorbild Dyne die 4 Drachen zu finden und ihre Prüfungen zu
bestehen. Im Gegensatz zum Großteil anderer RPGs startet
Lunar also nicht mit der üblichen, klischeehaften "Held
rettet Prinzessin" Geschichte, was der Spiel somit schon
von Anfang an ein angenehm anderes Flair verleiht.
Lunar konzentriert sich stark auf die Grundgeschichte und ist
daher sehr linear gehalten der Verzicht auf ablenkende
Subplots ist die logische Folge. Dies ist im Falle von Lunar allerdings
nicht negativ zu bewerten, da die Hauptstory an und für sich
fesselnd genug ist und mit zahlreichen überraschenden Wendungen
beeindruckt, so dass gelegentlich der Kiefer unerwartete Bekanntschaft
mit dem Teppich macht. Auch der häufige Wechsel der Charaktere,
die Alex begleiten sorgt für Abwechslung und ab und an sogar
für echte Wiedersehensfreude. Selbst Gespräche mit ganz
normalen Dorfbewohnern führt man dank der witzigen Dialoge
hier wirklich gerne - bei Lunar verkommt wirklich niemand zum
bloßen Statisten! Besonders Nall sorgt mit seinen dreisten
Bemerkungen oft für ausgelassene Heiterkeit; dass er nebenbei
in etwa jedes 2. überhaupt existierende Fettnäpfen tritt
ist da schon fast egal.
Sämtliche
Charaktere werden dem Spieler auf sehr persönliche und glaubwürdige
Weise nähergebracht. Jedem Charakter wurde eine echte Persönlichkeit
verpasst, die durch sein Tun und Handeln auch klar zum Ausdruck
kommt. Das verschafft ihnen eine seltene Tiefe und sorgt dafür,
dass sie lange nicht so oberflächlich und leblos wirken,
wie das bei dem Groß der Konkurrenz der Fall ist.
Dies ist wohl auch die eigentliche, bewundernswerte Leistung,
die Lunar auf eben jenen Klassikerthron emporhievt, auf dem es
bei so vielen Fans steht - die emotionale Bindung zu unseren Helden
ist dadurch enorm. Gerade Kyle und Jessy sind für mich das
Dreamteam schlechthin: was sich die beiden so alles für sarkastischen
Spitzen an den Kopf hauen ist teilweise zum Kringeln und einfach
nur unglaublich! Die mitreissende Geschichte wird zudem von einem
selten zauberhaftem Soundtrack und ebenso zahlreichen wie zutiefst
atmosphärischen Animesequenzen würdig unterstützt,
so wird z.b. jeder halbwegs wichtige neuer Chara in einer Filmsequenz
vorgestellt. Ein paar der FMVs wurden auch erst für die PSX-Neuauflage
produziert. Und ich kann ruhigen Gewissens sagen, dass es völlig
egal ist, wie teuer das war: allein für die unglaublich schöne
Boat-Scene mit Lunar hat sich der Aufwand gelohnt!
Die
Battleengine hingegen ist nicht übertrieben anspruchsvoll,
aber zweckmäßig: Wenn Ihr einen der sichtbaren Gegner
(es gibt keine random encounter) berührt, laufen die Kämpfe,
wie üblich, rundenbasiert ab. Vorher solltet Ihr die Aufstellung
eurer Party halbwegs clever festlegt haben, damit nicht alles
auf einem Haufen steht und ein gegnerischer zonengerichteter Angriff
nicht gleich allen Partymitgliedern HPs abzieht. Wer will, darf
der PSX in den battles auch die komplette Kontrolle übergeben,
aufgrund der äh... "fragwürdigen" KI nimmt
man jedoch von dieser Möglichkeit schnell wieder Abstand;
zumal der Schwierigkeitsgrad relativ hoch ist. Um das Leveln kommt
bei LSSSC keiner herum, das dies nicht stört und die Kämpfe
sehr zügig verlaufen liegt nicht zuletzt an der praktischen
Möglichkeit festzulegen, dass durch die Wahl eines einzigen
Icons alle Charaktere eine vorher per Menü zugeordnete Aktion
durchführen. Dieses Feature erspart einem z.B. bei Standartgegnern
nerviges Durchklicken der Angriffsicons jedes einzelnen Partymitglieds.
Die Menüführung ist auch sonst sehr schlank und vorbildlich
in sachen Übersicht.
Gerade PC-Veteranen, die sich die Zeit bisher nur mit düsteren
Ultimas, oder den finsteren MadMax-mäßigen Fallouts
versüßt haben, seien an dieser Stelle jedoch gewarnt.
Einige könnten in der meist sehr fröhlichen Lunar-Welt
schnell einen waschechtem Zuckerschock erleiden. Der Niedlichkeitsfaktor
ist auch im Vergleich zu anderen Nippon-RPGs sehr hoch angesiedelt,
ein dezenter Hang zum Kitsch ist unübersehbar. Jeder, der
bei Kulleraugen nicht automatisch an Heidi oder Sailormoon denkt,
sollte dieser Perle eine Chance geben. Ach was, der Rest eigentlich
auch.
Ein
dezenter Hint zum Schluss: Seid beim Stöbern auf der Oberwelt
gründlich, damit ihr Euch später auch alle FMVs in Ruhe
geben könnt. Und vor allem: wascht Euch! ;-)
Fazit : Mit Lunar hat Game Arts ein Stück Softwaregeschichte
geschrieben - nie zuvor haben einen die Protagonisten mit ihren
ausführlich geschilderten Schicksalen so schön in "ihre"
Welt mithineinziehen können. Die Geschichte hält einen
von Anfang bis Ende mit zahlreichen Überraschungen bei der
Stange und die Gegner sind zur Abwechslung kein reines Cannonfodder.
Für Nipponrollenspieler ist LSSSC sowieso Pflicht, aber auch
Animefans und Gelegenheitsrollenspieler sollten sich von dem überdurchschnittlichem
Schwierigkeitsgrad nicht davon abhalten lassen, sich diesen RPG-Traum
zuzulegen. Der größte Wehmutstropfen bleibt die mit
rund 35h leider recht kurz bemessene Spielzeit. Dennoch ist LSSSC
ein Referenztitel unter den oldschooligen Bitmap-RPGs - und was
für einer!
Spielspaß