Review der PAL-Version
von Nijohc
Disclaimer:
der Test basiert auf der Palversion, bezieht sich jedoch auf die
englischsprachige Variante! Zur deutschen Übersetzung kann
ich somit nur anmerken, dass das, was ich mir davon testweise
die ersten 10 Minuten lang angetan habe zwar nicht katastrophal,
aber ziemlich daneben gewirkt hat. Wobei sprachlich anspruchsvolle
Dialoge eh nicht gerade zu den Stärken von SH gehören.
Überraschung
#1: Das Konglomerat ehemaliger Square- und SNK-Designer mit dem
Namen Sacnoth (in der großen Welt der Rollenspiele bisher
nur durch das fabrizieren der seelischen Grausamkeit "Koudelka"
aufgefallen) hat es auf die Reihe bekommen, ihrem koreanischen
Publisher Aruze genug Kohle für ein neues Projekt aus dem
Kreuz zu leiern.
Überraschung
#2: Was herausgekommen ist nennt sich Shadow Hearts und ist erstaunlicherweise
recht gut gelungen: Das Szenario bewegt sich weitab vom Fantasyeinerlei
und spielt zu Beginn des 20. Jahrhunderts - Die Japaner sind fleissig
mit dem Versuch beschäftigt, sich China einzuverleiben, während
in Europa noch Frieden herrscht. Irgendwo zwischen Paris und Hong
Kong rast die Transsibirische Eisenbahn ihrem fernöstlichen
Ziel entgegen. In einem geschlossenen Abteil befindet sich die
zierliche Alice unter der Obhut japanischer Soldaten. Die nutzten
der Guten leider herzlich wenig, lässt sich der Gentleman
am anderen Ende des Zuges von solchen Kleinigkeiten schließlich
nur wenig beeindrucken. Mit einem freundlichen Grinsen schreitet
der sympathisch wirkende Zylinderträger von Waggon zu Waggon
seinem weiblichen Ziel entgegen, während sein nicht ganz
so sympathisch wirkender Begleiter (ein etwas klein geratener
Gargoyle) seine Minisense an den Kehlen zahlreicher Soldaten erfolgreich
auf Wirksamkeit testet. Irgendwo dazwischen, in der Touristenklasse,
reist Yuri mit, der definitiv mehr Stimmen hört, als jeder
Arzt für gut befinden würde. Durch dieser Gabe ist Yuri
auch nicht rein zufällig zu genau der selben Zeit an genau
dem gleichen Ort...
Wer
wen vor wem rettet ist klar, dennoch gibt es während des
schön gemachten, von spielbaren Sequenzen unterbrochenen
Renderintros ein paar Überraschungen - nicht nur dramaturgischer,
sondern ebenso spielerischer Natur. Bereits im ersten Kampf wird
klar, dass es hier um mehr geht, als schnellstmögliches Drücken
der x-Taste. Das Prinzip ist weiterhin rundenbasiert, gekämpft
wird mit maximal 3 Characteren in 3D-Polygonumgebung, der Rest
lungert frei nach Final Fantasy auf der Wartebank.
Nach
in Ruhe getroffener Auswahl Eures Opfers erscheint jedoch rechts
oben erstmal eine kreisförmige Scheibe, auf der sich ein
Zeiger im Uhrzeigersinn zu drehen beginnt. Das tut er pro Turn
genau einmal, danach startet Euer Character die gewählte
Aktion. Und hier kommt nun Timing ins Spiel: Auf seiner Reise
passiert der Zeiger mehrere Zonen. Manchmal ist dort überhaupt
nichts, manchmal wandert er über eine grüne, manchmal
über eine orange-rote oder blau markierte Fläche. Der
Zeitpunkt, zu dem der Zeiger diese Zonen passiert ist zugleich
der, zu dem man den x-Button drücken sollte, denn nur wer
zum richtigen Zeitpunkt drückt, darf auch zuhauen. So hat
z.B. jeder Character für seinen Standardangriff drei Trefferzonen
auf dem sogenannten Judgement Ring: eine für jeden der drei
Schläge, die er pro Turn maximal ausführen kann. Wird
eine Zone verfehlt, hört sich der Zeiger sofort auf zu drehen.
Wer sich schon beim Passieren der ersten Zone verschätzt,
bekommt somit gar nicht erst Gelegenheit einen zweiten und dritten
Treffer zu landen.
Auf
gleiche Weise werden auch Heilzauber und -tränke genutzt
- sogar beim Straßenhändler kann man mit dem richtigen
Item im Gepäck auf diese Art probieren, einen Rabatt auf
gekaufte Waren zu bekommen. Wobei die Anzahl, Breite und Abstand
der Zonen untereinander je nach Character, Gegenstand, Zauberspruch
etc. variieren. Dieses Plus an Interaktion erhöht den Anteil
an geforderter Aufmerksamkeit und Aktivität während
des Kampfes spürbar zum Positiven - bei den SH-Battles schnarcht
garantiert niemand weg. So weit, so interessant, so gut. Das Salz
in der Suppe ergibt sich hierbei dadurch, dass es ganz am Ende
(wo auch sonst) jeder Zone einen meist klitzekleinen roten Bereich
gibt, für dessen Treffen man mit einem besonders durchschlagskräftigen
"perfect-hit" belohnt wird. Man schwankt also des öfteren
zwischen "pack ich dass, und es gibt richtig Saures?"
und "jetzt verfehlen kommt gar nicht gut, Hauptsache ich
treffe überhaupt!"
Interessant erweise gilt dies nicht nur fürs Austeilen, gewinnen
doch Heiltränke (+90 Hit Points statt +75HP) und Zaubersprüche
gleichermaßen an Wirkung. Der letzte außergewöhnliche
Aspekt, der in der Battleengine selbst integriert wurde, sind
die sogenannten Sanity-Points (SP). Pro Zug braucht jeder Character
hiervon einen auf - hat er keine mehr, wechselt er in den Berserkermodus,
wo zwischen Freund und Feind keine Unterschiede mehr gemacht werden.
Ab und an sollte man allerdings dem (von jedem Savepoint aus zugänglichen)
Friedhof in Yuris Träumen einen Besuch abstatten, bereitet
die besiegte Brut dem Armen doch einiges an unerwarteten Kopfzerbrechen.
Da Aspirin+C hier versagt, muss man dort noch einmal gegen einen
wenig wehrhaften Gegner kämpfen, um seinen inneren Groll
zu besänftigen. Tut man das nicht, gibt es Besuch und der
hat dann eine sehr einseitige (für Yuri wenig vorteilhafte)
Betrachtungsweise vom Begriff des "Geben und Nehmen".
Ab und an darf auch ein mächtigerer Elementargeist geplättet
werden, dessen Form Yuri nach dem Sieg selbst im Kampf annehmen
kann.
Leider
ist es aufgrund des niedrigen Schwierigkeitsgrades (wie in viel
zu vielen anderen RPGs) nicht nötig, die schnell durchschaute
und doch sehr clever konzipierte Battleengine wirklich intelligent
zu nutzen. Nur viel zu wenige der zahlreichen Bossfights erfordern
halbwegs überlegtes Vorgehen, die meisten Endgegner haben
neben dem Standardschlag gerade mal 1-2 Specials drauf, auf die
man sich schnell eingestellt hat. Gewöhnliches Standardpack
stampfen Yuri & Co. später meist komplett in den Boden,
bevor es überhaupt Gelegenheit hatte, auch nur eine (harmlose)
Attacke vorzuführen. Der Schwierigkeitsgrad ist nahe an "nicht
existent" und den Schriftzug "Game Over" habe ich
bis zum Spielende genau 3x gelesen. Dafür musste ich nicht
einmal leveln. Verschenktes Potential nennt man so etwas glaube
ich... Selbst das Nutzen eines Talismans zwecks Wiederbelebung
bewusstloser Mitstreiter hat hier echten Seltenheitswert.
Vielleicht
ist das ja auch Absicht, weil einer der Designer gemerkt hat,
dass die Itemverwaltung doch etwas missglückt und unübersichtlich
ist. Wenn ihr einkauft dürft ihr euch alles, was es gibt,
(fast) immer aus einer einzigen, endlos langen Liste herausfischen:
Egal ob's ein magisches Armband für Yuri, ein noch kürzerer
Minirock für Alice, oder einfach nur ein Heiltrank sein soll.
Selbst wenn innerhalb dieser Liste ist der Krempel schon grob
vorsortiert ist, wühlt man sich nach ein paar Spielstunden
wenig komfortabel durch rund acht durchzublätternde Seiten
(bei dem Umfang bleibt es dann glücklicherweise). Noch spannender
wird es, wenn Ihr in der Umgebung mal wieder etwas findet - kennt
man den Gegenstand noch nicht und möchte wissen, was man
da eigentlich gerade ausgebuddelt hat, darf man heiter raten,
ob die passende Beschreibung samt hübscher Zeichnung nun
unter Items, Equipment, oder Valuables zu finden ist. Besser zurecht
findet man sich in den stylischen Statusscreens und der Oberweltkarte,
die nicht begangen werden kann nur aus anwählbaren Ortschaften
besteht. Der optische Eindruck insgesamt ist recht schwankend:
Die Renderbackdrops der allesamt sehr übersichtlichen Locations
(selbst das relativ große Shanghai besteht nur aus 3 Außenansichten
in der ganze 2 Gebäude betreten werden können) machen
einen durchschnittlichen bis guten Eindruck, technisch fällt
des öfteren recht heftiges Flimmern auf. Der Kampfbildschirm
nervt mit langweiligen und matschigen Hintergrundtexturen, Freund
und Feind sind hingegen recht ansehnlich dargestellt und die optische
Umsetzung magischer Spielereien ist ebenfalls gelungen. Vor diversen
Stilbrüchen bleibt man indessen nicht verschont: in den sparsamen,
stets von guter Sprachausgabe begleiteten, Zwischensequenzen wird
mal der Renderstil des Intros beibehalten, mal finden eigensinnige
(farbige) Standbilder Verwendung. In Shanghai staunt Ihr dann
kurzzeitig über schwarz-weisse Realaufnahmen, bis schließlich
der Großteil nur noch in (an sich recht gelungenen) schwarz/gelben
Standbildsequenzen im Mangastil weitergesponnen wird. Wirkt so,
als hätte Aruze irgendwann gemerkt hat, dass ihnen gerade
das Geld ausgeht...
Untermalt
wird das Geschehen von Klängen, die oft noch deutlich abgeschrägter
sind, als Szenario und Charactere. Innerhalb eines Stückes
werden verschiedenste Instrumente genutzt, bei deren bloßer
Aufzählung man im Leben nicht glauben würde, dass das
passen könnte. Beispiel Friedhofsmusik: Einer Art Spieluhr
wird leise von dem scheinbaren Hintergrundgemurmel einer schwarzen
Messe begleitet, gelegentlich setzen Kirchenchoräle ein,
eine unregelmäßige Bongotrommel läuft, mal lauter
mal leiser, fast permanent im Hintergrund und schräg klingendes
Gezupfe folgt einer sparsam eingesetzten Panflöte. Eine kurze
Klaviereinlage gibt sich die Ehre und löst ein maschinell
klingendes, kaum definierbares Schreddersample ab, das man höchstens
noch in Silent Hill erwarten würde. Klingt kaputt und nicht
machbar? Ist es aber doch! Wobei das ganze Spektrum von hektisch-treibend
bis sphärisch-geheimnisvoll bedient wird, immer perfekt passend
zur jeweiligen Situation. In Sachen musikalische Abwechslung ist
der Soundtrack mit das beeindruckendste, was es in der letzten
Zeit auf die RPG-Ohren gab. Egal ob das Glockenspiel in Kombination
mit einer Geige für melancholische Trauerstimmung sorgt,
oder in Prag eine Flöte mit einer schon fast funky klingenden
Orgel für akustische Entspannung sorgt: klasse klingen tut
es eigentlich immer. Leider sind einige Stücke etwas kurz
und werden zu flink gelooped, als minimal nervig ist mir dennoch
allein das Battletheme in Asien in Erinnerung geblieben.
Was
jedoch das größte Problem bei Shadow Hearts ist: Wirklich
einheitlich umgesetzt wurde das augenscheinliche Motto "Blutig
- ja gerne. Ernst - nein danke!" nicht. Es ist beim Erzählstil
zu unentschlossen und bis zum Ende konnte sich Sacnoth nicht entscheiden,
ob das nun eine Parodie, oder doch eher ein ernsthaftes RPG mit
satirischem Unterton werden sollte. Ich tippe Letzteres, doch
dafür wirken dann einige Geschichten (Stichwort: Li Li),
sehr viele Feinde (vornehmlich in Asien sehen die Viecher teilweise
schon absurd blöd aus), als auch eure eigenen Kumpanin (Margaretes
Specials) schlicht zu deplaziert. Für Ersteres hingegen gibt
es zu viele ernsthafte und atmosphärisch eindrucksvoll präsentierte
Sequenzen. Eine klare Linie fehlt, weshalb hier nicht einheitlicher
vorgegangen wurde, bleibt rätselhaft. In Europa legt das
Monsterdesign zwar zu, dafür baut zum Ende hin die interessante
Story leider ein wenig ab. Freundlicherweise verabschiedet sich
mit voranschreitender Spielzeit die gerade in Asien sehr extreme
Linearität und man bekommt die Möglichkeit, ein paar
Aufgaben nebenher zu lösen... Wer allerdings gerne Rätsel
in möglichst komplex und aufwendig konstruierten Dungeons
löst ist hier gänzlich falsch - das Dungeondesign ist
genauso "übersichtlich" und linear, wie das gesamte
Spiel. Irrwege gibt es nur in Ausnahmefällen, ein paar Rätsel
brauchen erst in den allerletzten Gewölben mit eher geringem
Denkaufwand gelöst werden.
Auf
der Habeseite liegen neben der wirklich erstklassigen, innovativen
Battleengine, dem sehr coolen Mainchara und seinem sympathischen
Anhang auch die mit der einen oder anderen kleinen Überraschung
aufwartende Story. Epische Tragweite sollte man bei gut ~25h natürlich
nicht erwarten und auch die Beziehungen der Charactere untereinander
könnten etwas besser herausgearbeitet und weniger oberflächlich
sein, unglaubwürdig oder lieblos wirken gleichwohl weder
Story noch Charactere. Gerade Yuri wird sehr überzeugend
rübergebracht, seine sarkastischen Sprüche sorgen des
öfteren für ein breites Grinsen. Und dann, ja dann gibt
es dort noch die vielen sympathischen Kleinigkeiten, die ebenso
einfach wie durchdacht sind und infolgedessen auch gerne genutzt
werden: Mit dem Pedometer werden Schritte in den Dungeons gezählt,
die sich später gegen besondere Items tauschen lassen, mit
den versteckten Lotterielosen ergeht es einem ähnlich und
so richtig zufrieden ist man auch erst, wenn man alle Karten der
Händlergilde zusammenbekommen hat. Um das gute Dutzend an
Sidequests zu entdecken und erfüllen braucht man auch endlich
mal keinen extra Walkthrough kaufen.... der größte
Teil der Aufgaben lässt sich im Gegensatz zu den sonst in
RPGs üblichen Bonusaufgaben auch ohne abgeschlossene Hellseherausbildung
bewältigen. Sehr angenehm dabei: Die Grundvoraussetzung für
das good ending bekomt ihr vom Spiel regelrecht aufgedrückt,
wer zum Schluss über das Katzenende jammert, ist selbst schuld
- jedem halbwegs aufmerksamen Spieler sollte das erspart bleiben.
Fazit : Wer auf der Suche nach dem etwas anderen RPG ist,
Defizite im Gegnerdesign verschmerzen und über einen recht
bescheidenen Schwierigkeitsgrad hinwegsehen kann, ist mit Shadow
Hearts sehr gut bedient. Die Geschichte vor interessantem Szenario
ist flott und ohne große Hänger erzählt, dazu
mit ~25h gut überschaubar in der Länge. Während
Hardcore-RPGler das Ganze zwischen zwei Bossfights in Persona
abessen, kommen Spielzeit und die hervorragende Zugänglichkeit
dem Gelegenheitsspieler gerade recht. Einen etwas zwiespältigen
Eindruck hinterlässt SH primär aufgrund seiner zu inkonsistent
wirkenden Inszenierung, nichtdestotrotz ist SH ein sehr unterhaltsamer
und kurzweiliger RPG-Trip mit grandioser Battleengine und herrlich
schrägem Soundtrack. Dem (hoffentlich kommenden) nächsten
Werk der Sacnothler sehe ich optimistisch entgegen, für den
Fall würde ich mir eine thematische stringentere Umsetzung
und mehr Tiefe bei den Characteren wünschen - dann sollte
einem echten Spitzenklassen-RPG nichts mehr im Wege stehen, exzellente
Ansätze gibt es auch hier schon zuhauf! ...Noch ist's nur
"sehr gut".
Spielspaß