Gastreview der PAL-Version
von Andreas
Zepp alias Squall
Ende
des Jahres 1999 war es soweit , Yu Suzukis langersehntes 'Lebenswerk'
Shenmue stand endlich in den japanischen Regalen . Der Hype ,
der um dieses Spiel im Vorfeld geschürt wurde , erreichte
enorme Ausmaße . Schon zum Dreamcast-Start im Land der aufgehenden
Sonne machte man den Spielern mit einer Demo namens Projekt Berkley
, welche Virtua Fighter 3tb beilag , den Mund wässrig . Erste
Bilder und ein längeres Interview mit Suzuki-San liessen
auf einen wahren Meilenstein der Videospielgeschichte hoffen .
Mit weiteren Messe-Auftritten , Demos und Screenshots wurden immer
mehr Geheimnisse rund um Segas bislang ehrgeizigstes Projekt enthüllt
und Fans in aller Welt bis zum endgültigen Release hingehalten.
Knapp ein Jahr nach der Veröffentlichung in Japan können
sich endlich auch Spieler ausserhalb Nippons an Segas einzigartigem
Multimilliarden-Yen-Projekt versuchen . Der riesige Zeitunterschied
zwischen den beiden Fassungen lässt sich durch den enormen
Aufwand der Lokalisierung erklären , alle Dialoge in Shenmue
ertönen in Sprachausgabe - und davon gibt es wahrlich nicht
wenige . Die US-Stimmen können bis auf einige Ausnahmen durchaus
überzeugen , erreichen aber längst nicht die Qualität
der Japan-Originale . Denjenigen , die die Japan-Fassung nicht
kennen , wird es aber warscheinlich nicht weiter negativ auffallen
. Eine Lokalisierung für den deutschen Markt fand übrigens
nicht statt , Pal- und US-Version sind nahezu identisch.
Wer Shenmue zum ersten mal zu Gesicht bekommt , dürfte nicht
schlecht staunen . Die grafische Presentation ist einfach der
Hammer ! Eine derartig perfekt designte Spielwelt , die von Detailverliebtheit
nur so strotzt , gab es im Konsolenbereich bisher nirgendwo zu
bewundern . Besonders beim Charakterdesign hat man sich grösste
Mühe gegeben . Jeder der über 200 Charaktere , die es
im Spiel anzutreffen gibt , besteht aus einer fast schon verschwenderischen
Anzahl an Polygonen und wirkt unglaublich real . Bereits im Echtzeit-Intro
sieht man mit welcher Liebe zum Detail die Entwickler gearbeitet
haben . Das dramatische Intro besticht vor allem durch hollywoodartige
Kamerafahrten und lässt einem bei so manch einer Szene das
Blut in den Adern gefrieren . Nach dem aüßerst gelungenen
Spieleinstieg findet man sich in einer (fast) völlig interaktiven
Spielwelt wieder...
Das Spielprinzip hebt sich von 'herkömmlichen' Adventures
deutlich ab . Man hat die Aufgabe mit dem Held des Spiels Ryo
Hazuki , die Bewohner erstmal nach Informationen auszufragen ,
die einem auf der Suche nach dem Mörder von Ryo's Vater Lan
Di , evtl. nützlich sein könnten . Sobald man eine wichtige
Info erhalten hat , wird diese automatisch im Notizblock festgehalten
, worauf man immer zugreifen kann . So kommt die sehr spannend
inszenierte Storyline langsam ins rollen , wobei es am Anfang
noch relativ gemächlich zugeht und man sich in aller Ruhe
mit der Umgebung vertraut machen kann . Erst ab der dritten GD
wird das ganze immer mehr actionorientierter und durch den Job
im Hafen noch spannender.
Der hohe Realismusgrad spiegelt sich u.a. auch im Verhalten der
Charaktere wieder . jeder einzelne hat seinen eigenen bestimmten
Tagesablauf : Alte Leute schleichen in der Gegend herum , pflegen
ihren Garten oder sitzen im Park , Kinder spielen auf der Strasse
oder halten sich mit ihren Freunden auf dem Spielplatz auf , Berufstätige
gehen jeden Morgen pünktlich zur Arbeit und kommen Abends
wieder heim und betrunkene wandern schwankend durch die Strassen
, um nur einige kleine Beispiele zu nennen . Die Zeit spielt natürlich
auch eine grosse Rolle , so wird es wie im realen Leben abends
dunkel , alle Strassenlaternen gehen an und Nachtlokale öffnen
ihre Pforten . nachmittags zieht sich die Sonne weiter zurück
und die Leute stellen sich schonmal auf den wohlverdienten Feierabend
vor und morgens ist es natürlich hell , zahlreiche Geschäfte
, Restauraunts und Imbissbuden stellen den beschäftigten
Bürgern ihre Dienste zur Verfügung . Ryo muss sich natürlich
auch an Zeitvorgaben halten , so steht man früh morgens auf
und muss spätestens um 23.30 Uhr im Bett sein . Es gibt sogar
verschiedene Wetterverhältnisse , die je nach Zufall generiert
werden und für noch mehr Abwechslung sorgen . Auch die sonst
schon überragende Atmosphäre wird dadurch nochmals verstärkt.
Mit fortlaufender Spielzeit kommt es immer öfter zu fantastisch
in Szene gesetzten Action-Einlagen . Das sind meistens Quick Timer
Events (QTE) oder Free Battles . In den Quick Timer Events ist
blitzschnelles drücken , auf dem Bildschirm gezeigter Tasten
, gefordert . Dies kommt meistens bei Verfolgungsjagden , Schlägereien
usw. zum Einsatz , wobei bei den Free Battles in einen Virtua
Fighter ähnlichen Kampfmodus (in Echtzeit) geschaltet wird
und man gegen Feinde wie in einem reinrassigen Kampfspiel kämpfen
muss . Um seine Kampftechnik zu verbessern und neue Moves herauszufinden
, hat man die Möglichkeit auf leerstehenden Parplätzen
, Spielplätzen oder im eigenen Dojo zu üben . Im weiteren
Spielverlauf erlernt man mit Hilfe von verschiedenen Personen
neue und sehr nützliche Moves.
Wenn es mal nichts zu erledigen gibt , kann man einen Ausflug
in die Spielhalle wagen und dort ein paar Mini-Games wie z.B.
Hang On , Space Harrier oder Dart zocken . Besonderes Lob verdient
auch die grandiose Musikuntermalung , die besonders bei Videosequenzen
eine tolle Atmosphäre schafft . Auch die Soundeffekte passen
immer perfekt zum Geschehen und lassen keine Wünsche offen
. Die in Echtzeit gehaltenen Videosequenzen setzen dem noch eins
drauf und sind manchmal nicht mehr von einer Rendersequez zu unterscheiden
. Als kleinere Kritikpunkte (muss ja auch mal sein :)) wären
die unkonstante Framerate zu nennen , die bei mehreren Personen
gleichzeitig auf dem Bild heftig einbricht und das 'magische'
auftauchen von Charakteren , die vorher nicht im Bild waren .
Die etwas hekelige Steuerung hätte auch besser ausfallen
können , nach einer Eingewöhnungsphase fällt aber
auch die kaum noch negativ auf . Sonst gibt es bis auf ein paar
minimale Durchhänger im Spielablauf , wo man nicht weiss
wie man sich die Zeit bis zum nächsten Event breitschlagen
soll und gerade keine Lust auf Arcade oder Kampf-Training hat
, kaum etwas zu bemängeln.
Als kleines Extra hat Sega noch eine Passport Disc beigelegt .
Auf dieser lassen sich fast alle (freigespielten) Videosequenzen
nochmal anschauen , Musiktracks geniessen oder sich von einigen
Charakteren verschiedene Spielsituationen und Ereignisse wie QTEs
, Magic Weather usw. erklären . Ausserdem gibt es eine Online-Anbindung
, wo man sich mit Zusatzinfos versorgen kann und seine Rekorde
aus den Mini-Games in die verschiedenen Online-Ranglisten hochladen
kann . Insgesamt bleibt noch zu sagen , dass Sega mit Shenmue
mal wieder ein grosser Wurf gelungen ist . Yu Suzuki hat wahrlich
nicht zu viel versprochen , Shenmue hält in fast allen Punkten
was es verspricht.
Fazit : Grafisch und akustisch überragendes Adventure
mit spannend inszenierter Story & unglaublich dichter Atmosphäre
. Die Interaktivitäts-Möglichkeiten und der Realismusgrad
sind enorm und brilliante Action-Einlagen wurden gekonnt eingesetzt
. Leider trüben ein paar Durchhänger im Spielablauf
und kleinere Schwächen etwas den Gesamteindruck - trotzdem
: Eins der besten Spiele des Jahres 2000 ! Die durchnittliche
Gesamtspielzeit beträgt ca. 20 bis 25 Stunden.
Grafik
Sound
Spielspaß