Fade to Black - Kapitel 5
The More I See (The Less I Believe)
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Ich muß hier weg, schrie Aeris innerlich, Ich muß!
Es regnete in Strömen, als Aeris durch die nassen Straßen
rannte. Entkommen...? Aber wohin? Sie hatte keine Ahnung, sie wollte
nur weg von dem "bösen Mann".
Die Straßen erstreckten sich vor ihr wie ein verworrener
Irrgarten. Was noch ein paar Minuten zuvor eine wundervolle Stadt für
das Mädchen war, war zu einem undurchdringlichen Käfig geworden. Sie
wollte sich einfach nur irgendwo verstecken.
Irgendwo, weit, weit weg von dem Professor.
Leute rannten über die Straßen, um dem Regen zu entkommen. Mit
jedem Blitz wurde der Himmel hell erleuchtet, und man konnte das Chaos
sehen, was der Regen angerichtet hatte.
Aeris aber störte der Regen wenig. Sie rannte so schnell sie
konnte, mit durchgeweichten Klamotten und nassen Haaren. Die Kleidung,
die sie um einiges velangsamte, nervte sie jedoch.
Einige Fußgänger sprangen aus ihrem Weg als sie durch die
Straßen rannte. Eine alte Dame jedoch hatte keine Zeit mehr,
auszuweichen, und Aeris rannte sie um. Aber sie drehte sich nich um, um
sich zu entschuldigen; sie schien ihre Umwelt völlig vergessen zu
haben.
"Hey, paß auf, Göre!" rief ihr ein Mann hinterher, als er der
alten Dame aufhalf.
Aber Aeris, wollte, konnte nichts hören. Ihre benebelten Sinne
schlossen sie völlig ein: Geräusche konnte sie nicht erkennen, Dinge
nahmen keine bekannte Form an. Und je schneller sie rannte, um so
stärker bombadierten sie ihr Gehirn.
Sie wußte nicht, wie lange sie schon gerannt war. So viele
Wege und unbekannte Staßen fegten an ihr vorbei, daß es ihr irgendwann
egal war, wo sie hinrannte. Ihre Füße rannten wie von selbst, und
schienen den Weg für sie zu gehen.
Sie rannte eine kleine, enge Straße in einer völlig fremden
Nachbarschaft entlang. Sie wollte anhalten, um sich zu erholen, aber
der Gedanke an den Mann, den sie vorhin gesehen hatte, ließ sie ihre
Geschwindigkeit nur noch erhöhen.
Sie hielt nicht an bis sie gegen jemanden gegenrannte und
hinfiel. Ihr ganzer Körper rutschte einige Meter über den Asphalt, und
als er endlich liegenblieb, lag sie da, wie bewußtlos.
"Oh Scheiße!" fluchte eine Stimme aufgebracht, "Hey, Fräulein!
Sind sie okay?!"
"Alex, was zur Hölle geht hier vor??" schimpfte eine zweite,
tiefere Stimme.
"Dieses verrückte Mädchen hat mich eben beinahe umgerannt, und
dann ist sie gefallen, M. Darcey! Ich schwöre!" rief die erste Stimme
defensiv zurück.
"Mein Gott! Sie ist ja total durchgeweicht! Hey, Kleines, bist
du okay?"
Aeris, die mit dem Rücken zu den beiden Männern lag, drehte
sich langsam um. Sie wollte aufstehen, aber ihre Schulter schmerzte so
fürchtelich, daß Tränen in ihre Augen traten.
Mit einem leisen Wimmern schaffte sie es, sich aufzusetzen. Zu
ihrer großen Überraschung war sie vor einem Café in eine total fremden
Umgebung. Sie blinzelte die Männer an, die sich über sie gebeugt
hatten, mit einem Mix aus Neugier und Sorge in ihren Augen.
Sie merkte auch, daß das Blitzen und Donnern aufgehört hatte,
und der Regen nur noch Sprühregen war.
"Gott sei Dank, sie ist, in Ordnung!" seufzte Alex erleichtert.
Er war ein junger Mann. Von seinem Aussehen her war er sicher
eine Bedienung in dem Café. Er hatte gerade einige Stühle
zusammengestellt, als Aeris in ihn gerannt war.
"Das war ein ganz schön großer Schwan, den du da gemacht hast,
Kleines. Bist du sicher, daß dir nichts passiert ist?" sagte Mr. Darcy,
ein kleiner, dicker mann, vielleicht 50 oder so, und offensichtlich
der Manager des Cafés.
Aeris versuchte krampfhaft, die beiden Männer zu verstehen,
aber es kam ihr vor, als ob die beiden eine andere Sprache sprechen
würden.
Mr. Darcey bemerkte ihre Konfusion, und näherte sich ihr
vorsichtig, um ihr Gesicht zu untersuchen. Aeris starrte ihn mit großen
Augen an.
"Ich glaube, sie ist Wahnsinnig." murmelte der junge Ober.
"Wo wohnst du, Kleines?" fragte Mr. Darcey mit einem
väterlichen Lächeln, "Hast du jemanden, der nach dir sieht?"
Die Worte "nach dir" echoten in Aeris gestressten Gedanken, bis
sie sich schließlich erinnerte, warum sie gerannt war: Der Mann ist
hinter mir her! Ich muß fliehen!
Sie spang auf, als ob Mr. Darcy sie bedroht hätte. Bevor auch
nur einer der Männe reagieren konnte, war sie schon auf und davon.
Ein Auto erwischte Vincent fast, als er über die stark
befahrene Straße rannte, aber er machte einfach einen Satz zur Seite
und rannte weiter. Das war jetzt schon das dritte Mal, daß er Haupt-
straße absuchte, aber er hatte bis jetzt noch nicht eine Spur von Aeris
gefunden. Er hatte die letzten zweieinhalb Stunden damit verbracht,
nach Aeris im schüttenden Regen zu suchen. Sein langes, dickes Haar
tropfte nur so, genau wie sein Mantel.
Einige Leute dachten, er war ein Krimineller oder Flüchtling
oder so etwas, da er sich beim Laufen ständig nach allen Seiten umsah.
Er dachte darüber nach, ob er den nördlichen Teil noch einmal
absuchen sollte, aber er war dort mindestens schon zweimal während der
letzten 30 Minuten gewesen. Also würde er einfach eine Seitenstraße
nehmen.
Er trottete ziellos durch die Straßen, in der Hoffnung, Aeris
in irgendeiner Ecke zu finden. Er erreichte nach einiger Zeit Sektor
3, der bekannt für seine Bandenkriege und Kriminalität war.
Auch wenn die zerlumpten Penner am Straßenrand Vincent
verdächtig ansahen, wagte es keiner, sich ihm in den Weg zu stellen.
Sie dachten, daß er auch ein Krimineller auf der Flucht sei.
Er fühlte plötzlich, wie ein stechender Schmerz sich durch
seinen Brustkorb bohrte, aber er knirschte mit den Zähnen, um einen
Hustenanfall zu vermeiden.
Nicht hier, nicht jetzt.
Er wanderte in den Slums umher, nicht sicher, was er jetzt tun
sollte. Auch wenn er es geschafft hatte, den Hustenanfall zu vermeiden,
stach der Schmerz erneut mit jedem Atemzug zu.
Der Sprühregen hatte sich in einen Eisschleier verwandelt.
Vincent hielt auf der Straße an und sah den Himmel an, als ob er von
ihm eine Antwort auf die Frage, wo Aeris war, erwartete.
Er seufzte müde. Da Aeris hier auch nicht war, verließ Vincent
die Slums und trottete in eine weniger dreckige Strasse.
Zweieinhalb Stunden gesucht, und nicht eine Spur von dem
Mädchen! Wo ist sie hin? fragte er sich.
Als Antwort fühlte Vincent ein weiches Etwas unter seinem
Schuh. Er nahm seinen Fuß hoch und merkte, daß es eine pinke Blume war,
die auf dem Asphalt lag.
Komsicherweise interessierte gerade diese Blume Vincent. Er
nahm sie vorsichtig hoch und untersuchte sie. Die Blütenblätter waren
dreckig und kaputt, dank seinem Fuß; der Stengel war auch durch-
gebrochen.
Als er die Blume zwischen seinen Fingern zwirbelte, erinnerte
sich plötzlich an das, was Tifa ihm erzählt hatte, bevor er abgehauen
war.
"Cloud hat ihr sogar eine *Blume* gekauft!", hatte sie gesagt.
Vincent sah sich um und sah ein kleines Café ein paar Meter
entfernt. Es war das gleiche Café, an dem Aeris vor einer Stunde
vorbeigekommen war.
Alex, der junge Ober, pfiff vor sich hin als er die Tür hinter
sich schloß und sie verriegelte.
"Du!" rief Vincent, was den Ober sehr zu erschrecken schien.
"Ah!!! J..ja?" stammelte Alex ängstlich. Vincents große,
bedrohende Gestalt und seine leuchtenden Augen ließen dem Ober einen
kalten Schauer über den Rücken laufen. Vielleicht war er ein Mörder
oder so was?
"Ist hier ein junges Mädchen vorbeigekommen? Sie hatte lange,
braune Haare ...und hatte einen blauen Mantel und einen Schal an."
"Um... ja.. sie ist vorbeigekommen..." antwortete Alex nervös,
aber respekvoll. Vincent war anscheinend nicht der Typ, den man
absichtlich irritieren sollte.
"Wo ist sie langgelaufen?"
"Da.. da lang, Sir," sagte Alex, als er die Straße runter
zeigte, "Sie ist in den Weg da gerannt. Wir haben versucht, mit ihr zu
reden, aber sie schien ein wenig durch den Wind, und rannte einfach
weg."
"Danke."
Vincent drehte sich um und rannte in besagten Weg.
Aeris brach auf dem matschigen Untergrund zusammen, total außer
Atem. Sie war so lange gerannt, ihre Lungen fühlten sich an, als ob sie
jeden Augenblick auseinanderspringen würden. Ihr Körper zitterte als
der Graupelregen in ihr Gesicht wehte wie ein scharfes Messer. Trotz
dem sie weiterrennen wollte konnte sie ihren Körper nicht mehr bewegen.
Ihre verletzte Schulter tat fürchterlich weh.
Als sie sich endlich erholt hatte, stand sie auf und sah sich
um, sich selbst fragend, wo sie war.
Trotz der Dunkelheit konnte sie sehen, daß sie eine verlassene
Gegend erreicht hatte. Ein großes Gebäude stand vor ihr, ruiniert und
halbwegs zerstört. Die Fenster waren alle zerbarsten; rostige Stahl-
träge hielten es geade so aufrecht. Es war ein Wunder, daß das Gebäude
überhaupt noch stand.
Aeris entdeckte, neben all dem Graffiti, ein großes, rotes
Schild, was auf der Vorderseite des Gebäudes angebracht war. Aber es
war schon so verwaschen, daß Aeris nur die Worte "Shin..." lesen
konnte.
Aeris betrachtete das Gebäude mit großem Interesse. Besonders
die großen Leitungen, die aus dem Boden sprossen, interessierten sie.
Sie berührte die brüchige Maue vorsichtig, dann plötzlich brach sie
in Tränen aus.
Sie weinte, weil sie niemals entkommen könnte. Egal, wo und wie
sie rannte oder sich versteckte, der Professor würde sie immer finden
und zurückholen. Ja, sie wußte, daß dieser mann mit dem weißen Haar
für ihn arbeitete; sie wußte es in dem Augenblick, als er sie ange-
lächelt hatte. Er würde sie jagen, wie ein Tier, und sie zu dem
Professor zurückbringen.
Sie drückte ihre Stirn gegen die Wand als sie sich auf die
Unterlippe biß um mit dem Weinen aufzuhören, aber die warmen Tränen
flossen ständig ihre Wangen runter.
Aeris fühlte eine Hand, die ihren Arm berüherte.
Mit einem Schrei schlug sie die Hand weg und drehte sich
erschrocken um.
"Hey, hey, ich bin's!" sagte Vincent, um sie zu beruhigen.
Sie starrte ihn mit großen Augen an. Es schien Vincent, als ob
Aeris wirklich den Verstand verloren hatte. Sie schien sich nicht im
Geringsten an ihn zu erinnern.
"V... Vincent..." flüsterte sie, als sie sich endlich
erinnerte.
Es folgte eine Stille, in der Aeris Vincent anstarrte, als ob
er vom Himmel gefallen war. Aber Vincent war einfach dem kleinen Weg
gefolgt, bis er das alte Shin-Ra Hauptquartier erreicht hatte. Er hatte
Aeris weinend an der Mauer des Gebäudes gefunden, und hatte sich ihr
von hinten genähert.
"W.. was machst du hier?!" rief sie ärgerlich. Seine Präsenz
schien zu viel für sie zu sein.
"Ich habe überall nach dir gesucht," erwiderte er langsam, "Wo
glaubst du, gehst du hin?"
Sie erschrak bei der Frage, aber drehte ihren Kopf zur Seite
um seinem Blick aus dem Weg zu gehen.
"Aeris," wiederholte er, "Wo gehst du hin?"
"Vincent, bitte... laß mich allein..." flehte sie, "Geh einfach
weg!"
"Ich gehe ohne dich nirgendwohin."
"Ich will nicht mit dir mitgehen!! Ich muß weiterrennen!"
"Rennen, Aeris?" fragte er sarkastisch, "Wohin rennen?"
"Ich weiß nicht!" schluchzte sie, "Ich weiß es nicht! Aber ich
muß fliehen! Verstehst du das nicht?! Er hat mich gefunden! Wenn er
mich jetzt fängt, bringt er mich in das Labor zurück! Ich würde lieber
sterben als zu dem Professor zurückzugehen!! Kannst du das nicht
sehen?!!"
Sie starrte ihn verachtungsvoll an. Ein fremdes Haßgefühl
füllte ihr Herz.
"Ich verstehe," antwortete er ruhig, "Aber wie wird dir
wegrennen helfen?"
Aeris sagte nichts.
"Aeris, ich weiß, daß du Angst hast," setzte er fort, "Aber du
kannst nicht einfach rennen, und hoffen, daß der Professor
verschwindet. Du weißt, daß, wenn du rennst, er dich fangen wird."
Aeris fühlte ihr Herz heftig schlagen, als er einen Schritt
näher kam. Seine Augen waren auf ihr Gesicht gerichtet, aber sie wagte
es nicht, ihn anzusehen.
"Also, Aeris, bitte. Gib mir deine Hand."
Er streckte ihr seine Hand entgegen.
"Vertrau mir." fügte er hinzu.
Sie starrte seine Hand an, als ob es eine giftige Schlange wäre
und sprang weg von ihm.
"Du ... du kannst mich nicht verstehen!" rief sie wütend, "Du
bist nur ein kaltherzige Bastard! Du bist nicht besser als der
Professor!!"
Vincent sah sie an. Die Beleidigungen schienen ihm nichts aus-
zumachen.
"Du weißt verdammt noch mal," fuhr sie fort, "daß, wenn ich
hier bleibe, daß er mich fängt! Aber das ist dir egal, nicht wahr?!
Natürlich ist es das, Vincent! Wie könnte es dir nicht egal sein?
Wie könntest du verstehen?!?"
Sie verdeckte ihr Gesicht mit beiden Händen als sie versuchte,
ihre Nerven unter Kontrolle zu bringen. Vincent bewegte sich nicht und
sagte auch nichts. Für eine ganze Minute war das einzige, was die
Stille unterbrach, das Getrommle der Regentopfen gegen das Gebäude.
"Weißt du..." begann sie, "Weißt du, wie es ist, wenn man
Schmerzen hat? Nicht dieses bischen Schmerz, was du für 'ne Stunde oder
so fühlst... nein... Dieser schreckliche Schmerz, der non-stop an
deinem Körper zerrt."
Sie verschränkte die Hände vor ihrer Brust und schloß die
Augen. Sie schien sich selbst mehr anzusprechen als Vincent.
"Jeden Tag, jede Stunde, mußt du auf einem kalten Operations-
tisch liegen... mit Kabeln und Nadeln in deinem Körper. Und all diese
piependen Maschinen, die über dich wachen wie Bodyguards."
Sie riß ihre Augen auf und starrte Vincent an, aber sie schien
nicht wirklich IHN zu sehen. Sie sah irgendetwas hinter ihm.
"Und der Schmerz *in* deinem Körper!" rief Aeris, lauter
werdend, "Es fühlt sich an, als ob es deinen ganzen Körper von innen
zerreißt. So sehr, daß du liebend gerne deine Seele an den Teufel
verkaufen würdest, nur, damit es aufhört."
Aeris ließ ihren Kopf hängen. Vincent war ruhig für einige Zeit
bevor er einen Schritt auf sie zuging. Sie nahm ihren Kopf wieder hoch
und starrte ihn an.
"Du kennst diesen Schmerz nicht, Vincent," schnappte sie, als
sie rückwärts von ihm wegging, "Du weißt nicht, wie es ist, wenn man so
behandelt wird... wie ein Versuchskaninchen! Und erzähl mir nicht, du
würdest mich verstehen, Lügner!"
Sie drehte sich um und wollte wegrennen, aber Vincent packte
sie an beiden Armen so kräftig, daß sie aufjaulte. Er riß sie herum und
schubste sie stark gegen die Wand.
Aeris dachte, er würde sie anschreien oder schlagen, aber er
sah sie einfach nur an.
"Jetzt hör mir mal zu, kleines Mädchen," mumelte er in einer
überraschend ruhigen Tonlage, "*Wag* es nicht noch einmal, vorzugeben,
was ich weiß und was nicht."
Aeris zappelte, um freizukommen, aber das nützte nichts. Seine
Klaue fühlte sich an, als ob sie ihre Knochen jeden Augenblick brechen
würde; Er hielt sie so nah gegen die Wand, sie hatte keine Chance zu
entkommen.
"Aeris," setzte er fort, "Ich verstehe, wie du dich fühlst.
Glaub mir, ich verstehe es. Vielleicht sogar besser als du glaubst."
Aeris drehte ihr Gesicht störrisch weg von ihm.
"Guck mich an wenn ich mit dir rede!" forderte er. Er griff ihr
Kinn mit seiner Hand und zwang sie, ihn anzusehen.
Sie starrte in seine leuchtenden, rubinroten Augen. Einige
Strähnen seines schwarzen, nassen Haares hingen vor seinem Gesicht,
aber sie konnten die Brillanz seine Augen nicht trüben. Er behielt
seine Hand unter ihrem Kinn, löste seinen Griff an ihrem Arm aber
etwas.
"Ich *weiß* wie es ist, ein Experiment zu sein. Wenn du von
dem Schmerz und den Qualen redest, glaub mir, ich weiß, von was für
Schmerz du sprichst. Ich war auch auf einem kalten Operationstisch;
ich hatte auch Nadeln und Kabel in mir. Aeris, ich hatte sogar einen
Professor, der mich durch meine Alpträume gejagd hat."
Sie antwortete nicht.
"Wie, denkst du, habe ich diese Klaue bekommen?" fragte er und
hielt selbige vor ihr Gesicht, "Warum habe ich rote Augen und sehe so
aus?"
Aeris hielt den Atem an als er sein Gesicht näher an ihres
ranführte und in ihre Augen starrte.
"Vielleicht akzeptierst du das nicht," sagte er in einer tiefen
Stimme, "Aber ich verstehe dich besser als Tifa und Cloud. Ich
verstehe, warum du entkommen willst, weil ich das auch mal versucht
habe. Ich verstehe, warum du den Professor so haßt, Aeris, und warum
du so frustriert und ängstlich bist. Ich habe die gleichen Emotionen
gefühlt, und noch schlimmere. Hörst du mich?"
Sie begann, schneller zu atmen. Ihr Herz pochte so laut, daß es
ihre Ohren taub machte.
"Und ich weiß, daß dich das Wegrennen nicht retten wird. Ich
weiß es, weil ich es auch einmal versucht habe. Er wird dich jagen, Tag
und Nacht, bis du besessen von ihm bist, oder noch schlimmer: Du bist
besessen mit dem Schmerz und der Bitterkeit, die er dir gebracht hat."
Aeris sah zu ihm auf. Seine Augen sahen mekwürdig fieberig aus.
Trotz des Regens, der immer noch vom Himmel kam, konnte sie sehen, daß
er innerlich mit irgendetwas kämpfte.
"Warum solltest du dich um mich sorgen, Vincent?" sagte Aeris
schließlich mit finsterer Miene, "Ich bin doch nichts wert, in deinen
Augen. Du haßt mich." (Rammstein?)
"Ich hasse dich nicht, Aeris."
"Doch, das tust du! Du siehst irgendetwas in mir und verachtest
mich! Glaubst du, ich bin blind?! Glaubst du, ich kann den Haß in
deinen Augen nicht sehen?"
"Das ist kein Haß," erwiderte er, "Das ist Sorge. Ich sehe, daß
du genau so mental zerstört wirst wie ich wenn du dich deiner Angst
nicht stellst. Ich war so wie du, aber ich bin weggerannt und habe mich
in einem Sarg versteckt. In einem Sarg, Aeris, einem Sarg für 31 lange,
qualvolle Jahre. Ich will nicht, daß du endest wie ich."
"Lügner! Lügner! Lügner!!" schrie sie wütend, "Laß mich los!!"
Aeris riß sich von ihm los und rannte weg. Er rief ihren Namen,
aber plötzlich grub der zuückgehaltene Hustenanfall seine Klauen in
Vincents Lungen.
Er fiel gegen die Wand und hielt sich mit Klaue und Hand den
Mund zu, als er in einen ziemlich intensiven Husten ausbrach. Er
seine Schultern zitterten als Blut durch seine Finger strömte. Der
Husten wurde zu einem Kampf nach Luft. Manchmal dachte Vincent, er
würde seine Lungen mit aushusten, mit all dem Blut.
Sein Brustkorb beruhigte sich nicht bis fünf Minuten
verstrichen waren. Trotz des kalten Regens fühlte sich sein Gesicht
sehr heiß an.
Zu seiner Überraschung sah er Aeris vor ihm stehen. Er hatte
gedacht, sie sei weggerannt, als er gehustet hatte.
Aeris wäre weggerannt, aber als sie Vincent an seinem Blut
ersticken gehört hatte, stoppte sie und drehte sich um. Ihr Geist
hatte ihr dringend geraten, den Vorteil zu nutzen und zu fliehen,
aber ihr Herz hatte sie angefleht, den leidenden Mann anzusehen.
Sie hatte ihn schweigend angesehen, als er gegen den Anfall
gekämpft hatte. Seine Worte hallten in ihren Ohren wieder, und ihr
Herz hatte sie angefleht, zu ihm zu gehen. Und dann, bevor sie es
merkte, stand sie vor Vincent, beschämt und schuldig.
"Es... es tut mir leid, Vincent..." stammelte sie, als sich
Tränen in ihren Augen bildeten, "Ich... ich wollte dich nicht so
beschimpfen... Du mußt denken, daß ich das undankbarste Geschöpf auf
Erden bin, besonders nach all dem Ärger, den du hattest, nur, um mich
zu finden. Es ist bloß... ich bin es so satt, laufend wegzulaufen.."
Vincent stand auf und sah das arme Mädchen an, daß mit ihrem
nassen Ärmel die Tränen von ihrem Gesicht wischte.
"Ich wünschte... ich könnte wie Tifa sein," sagte sie
träumerisch, "Sie hat Cloud, und ihr eigenes Restaurant, und ihr
eigenes Leben... Sie.. sie muß sich nicht laufend über die Schulter
schauen, ob irgendein Monster sie von hinten anfällt."
Sie sah Vincent an und lächelte, aber es war ein trauriges,
bitteres Lächeln voller Kummer.
"Ich? Schau mich an, ich renne in Midgar im Regen rum, mit
dir auf den Fersen."
Sie sah auf den matschigen Boden und wartete darauf, daß
Vincent etwas sagen würde. Eine bedrückende Stille fiel über die beiden
für ein paar Minuten. Sie wünschte sich, daß er etwas sagen würde,
auch wenn er sie zurechtweisen würde.
Vincent aber hob langsam seine Hand und berührte Aeris' Wange.
Sie sah zu ihm hoch als er über ihre Wange mit seiner warmen
Hand streichelte. Seine Augen waren nicht kalt, wie sonst immer,
sondern weich und freundlich. Aus irgendeinem Grund fühlte Aeris, wie
ihr Gesicht unglaublich heiß wurde.
Plötzlich schossen Vincents Augen zur Seite.
"PASS AUF!!" rief er und warf seinen gesamten metallischen Arm
vowärts, um sie zu beschützen.
Ein ohrenbetäubender Schuß duchdrang die Nacht und die Kugel
traf Vincents Arm so heftig, daß er auf den Boden geschleudert wurde.
"VINCENT!!" kreischte Aeris und fiel auf die Knie neben ihm.
Vincent kämpfte, um vom Boden aufstehen zu können, aber der
Schmerz war so groß, er konnte sich nur auf den Rücken mit einem
schmerzhaften Grunzen winden. Die Kugel hatte exakt die Stelle
getroffen, wo das Fleisch mit dem Metall verbunden war. Das war der
einzige Schwachpunkt seines gesamten Armes.
Und wer auch immer geschossen hat, dachte Vincent,
*wußte*, daß ich den Schuß abfangen würde. Wer auch immer geschossen
hat, hat auf ihren Kopf gezielt, um meinen Arm zu treffen... und wußte
verdammt gut, wo er hinzielen mußte.
"Vincent! Vincent, steh auf!" flehte Aeris hysterisch. Er biß
sich auf die Lippe als sie ihm aufstehen half. Sie starrte ihn
ängstlich an als sie sein dreckiges Gesicht zwischen ihren zitternden
Händen hielt.
"Bist du okay? Bist du okay?!" schrie sie.
Bevor er antworten konnte, hörte Vincent das Klicken einer
Waffe, die geladen wurde.
Er sprang auf und packte Aeris, gerade als ein wilder Kugel-
regen aus der Dunkelheit kam.
Die Kugeln verfolgten die zwei gnadenlos, aber Vincent wich
ihnen mit abnomaler Geschwindigkeit aus. Er rannte auf die Ecke des
demolierten Gebäudes zu, Aeris unter dem Arm tragend, als ob sie ein
wertvolles Paket wäre.
Er schlidderte um die Ecke, gerade als eine Kugel den Kragen
seines Mantels durchfetzte.
Die Kugeln schlugen wütend gegen die Ecke, wo Vincent sich
versteckte. Sie bombadierten die gesamte Barriere so heftig, einige
Stückchen Metall flogen herum und landeten vor Vincent und Aeris.
Vincent nahm Aeris sofort in den Arm und schützte sie mit
seinem Körper komplett vor den Kugeln. Einige Stücke Metall petschten
gegen seinen Rücken, aber er verengte seinen Griff um Aeris nur noch
mehr.
Aeris, die nicht verstand, was los war, vergrub ihr gesamtes
Gesicht in Vincents Brustkorb und hielt seinen Ärmel krampfhaft fest.
Ihre Schultern zitterten, und sie schloß die Augen, in der Hoffnung,
daß der Kugelregen aufhören würde. Es war, als ob der Kugelregen
niemals aufhören würde.
Plötzlich gaben die Kugeln ihre Attacke auf. Alles war ruhig.
Vincent hob seinen Kopf nach ein paar Momenten. Das gesamte
Gebäude sah jetzt noch zerstörter aus als vorher, als es noch geregnet
hatte. Viele Teile Metall lagen um die beiden im Matsch.
Die schreckliche Stille schien unangebracht. Vincent war sich
sicher, daß es nur eine erzwungene Stille.
"Also, Mr. Valentine," lachte eine Stimme aus der Dunkelheit,
"Ich bin froh, daß du deine Sinne trainiert hast, wie ich es dir
empfohlen habe."
Vincent stutzte. Diese Stimme kannte er irgendwoher...
"Komm da raus," befahl die Stimme, "Ich weiß, daß du hinter
der Ecke da sitzt!"
Es folgte eine weitere Stille bevor Vincent den Entschluß
faßte, dem Scharfschützen entgegenzutreten. Er machte langsam eine
Bewegung, um aufzustehen, aber Aeris hielt ihn fest und ließ nicht los,
als ob das für sie den Tod bedeuten würde.
Vincent aber riß sich nicht los, sondern strich über ihr Haar
und flüsterte in ihr Ohr. Aeris schüttelte nur den Kopf und vergrub
ihr Gesicht in seinem Mantel.
Vincent umarmte sie noch mehr, und flüsterte unhörbar. Er
flüsterte leise und ruhig zu ihr, ohne auch nur das kleinste Bißchen
Ärger über ihr Verhalten zu zeigen.
Als sie endlich nickte, gab Vincent ihr einen leichten Kuß auf
die Haare und stand auf.
Aeris lehnte sich gegen die Wand und bedeckte ihren Mund mit
beiden Händen. Sie hatte nicht mal genug Stärke zum Sprechen. Ihr Herz
klopfte wild, ihre Schultern wollten nicht aufhören, zu zittern.
Vincent zog seine Waffe aus dem Holster und ließ Aeris hinter
der Ecke. Trotz dem sein vewundeter Arm höllisch wehtat, schien er den
Schmerz nicht zu bemerken. Er starrte in die Dunkelheit vor ihm, da er
wußte, daß der Angreifer, wer auch immer das war, direkt vor ihm stand.
"Ah, Mr. Valentine," grüßte die Stimme, "Oder soll ich dich
Vincent nennen?"
Vincent runzelte die Stirn, gab aber keine Antwort.
"Ich wette, du möchtest wissen, wer ich bin, eh, mein Freund?"
Vincent schwieg und lud seine Waffe mit einem lauten Klick.
"Oh ho," lachte die Stimme kurz, "Taten sprechen lauter als
Worte, wie?"
Vincent riß seine Waffe hoch und zeigte mit dem Lauf auf die
Stelle, von der die Stimme kam. Er starrte immer noch in die Dunkel-
heit, auch wenn er den Mann nicht sehen konnte.
"Bist du der Bastard, der dieses Mädchen jagt?" fragte er als
Wut in sein Herz kroch.
"Warum nennnst du mich einen Bastard, Vincent?" erwiderte die
Stimme, "Ich tue nur meinen Job. Hast du das nicht früher auch getan?"
Vincent blinzelte, als er die Frage hörte, sammelte sich aber
schnell wieder und richtete die Waffe fester auf die Quelle der Stimme.
"Ich weiß nicht, was für eine Scheiße sie hier veranstalten,
Sir," antwortete Vincent leise, "Aber das Mädchen wird mit ihnen
nirgendwo hingehen!"
"Sag mir nicht, daß du vergessen hast, daß du ein blutdurstiger
Turk vor 31 Jahren warst...!"
Während die Stimme das sagte, kam sie aus der Dunkelheit hervor
in Form eines großen Schattens. Er stand direkt vor Vincent, aber
Vincent konnte immer noch nichts erkennen, wer es war. Die Dunkelheit
verdeckte das gesamte Gesicht des Mannes, außer seinen Augen, die
in einem hellen Pink leuchteten.
"Huh!" scherzte der Mann, "All zu überrascht bin ich nicht. 31
Jahre sind 'ne ganz schöne Zeit..."
Er ging einen weiteren Schritt auf Vincent zu, gerade als das
Mondlicht durch die Wolken brach und auf sein Gesicht fiel. Das Licht
schien sein Haar noch weißer erscheinen zu lassen, fügte seinen Augen
jedoch ein diabolisches Leuchten zu. Es war, in der Tat, der gleiche
Mann, der Aeris am Hauptplatz so erscheckt hatte.
Er strich sein Haar aus seinem Gesicht als er seine Lippen zu
einem schiefen Grinsen verzog.
Vincent war wie vom Blitz getroffen.
"..Davoren..." flüsterte er, als er seine Waffe senkte.