"Oh, was haben wir denn hier? Einen blinden Passagier."
Verwirrt blinzelte Vivi. Ueber ihm standen zwei Figuren, offensichtlich Maenner, das konnte er schemenhaft erkennen. Der Himmel war rot, es musste also schon Abend sein. Muede drehte er sich auf den Ruecken - und sofort durchfuhr ihn wieder der stechende Schmerz, sowohl von seinem Unterarm als auch von seiner Schulter aus. Als er tief Luft holte, merkte er, dass sein Atem so merkwuerdig gluckerte ...
Eine dritte Person schob sich zwischen die Beiden, die sich leise ueber den kleinen blinden Passagier zu unterhalten schienen ... die Beiden sahen den Dritten an und gingen dann weg. Vivi versuchte sich aufzusetzen, ihm wurde aber prompt schwindelig und ein schrecklicher Kopfschmerz machte sich in seinem Kopf breit. Ein aehnlicher Schmerz wie beim Schiefgehen eines Zaubers, nur nicht ganz so stechend.
Die Gestalt, die ueber ihm stand, hockte sich nun vor ihn. "Hey. Kleiner. Alles in Ordnung?" fragte eine tiefe Stimme, die Vivi im ersten Moment nicht zuordnen konnte. Als er jedoch schaerfer nachdachte - und als schliesslich der Kopfschmerz dafuer sorgte, dass sein Blick wieder klar wurde - erkannte er, wer da vor ihm hockte.
"M-Mahagon ..." murmelte er muede, "W-wo ..."
"Meine Guete. Dich hat's aber erwischt, Kleiner, was? Wo hast du dich denn rumgetrieben?" schnitt ihm Mahagon das Wort ab, als er auf Vivis gebrochenen Arm und seine durchstochene Schulter blickte. Vivi brauchte dank eines erneuten Schwindelanfalls einen Moment, bevor er antworten konnte.
"D-das ist eine lange Geschichte, aber ..."
"Ja, ist schon gut." schnitt ihm Mahagon erneut das Wort ab. "Hier, ich habe genau das Richtige fuer dich." Mit diesen Worten holte er eine duenne, gruenlich leuchtende Phiole heraus, zog den Korken und traeufelte sich ein wenig des Inhaltes auf eine Handflaeche.
"Leg dich wieder hin. Und beiss auf irgendwas drauf, das wird brennen." sagte er trocken. Vivi sah ihn fragend, fast erschrocken an, legte sich aber auf den Ruecken. Er hatte vorher viel mit Heil"traenken" zu tun gehabt ... nur musste man diese Traenke nicht trinken, man trug sie einfach auf die Wunde auf. Und das war nicht immer angenehm.
Er nahm schnell eine Ecke seines Kragens zwischen die Zaehne, gerade rechtzeitig, als Mahagon die blaugruene Fluessigkeit von seiner Handflaeche auf den Schnitt in Vivis Schulter laufen liess und anschliessend die ganze Hand auf die Wunde drueckte. Ein unangenehmes Zischen war kurz zu hoeren, und Vivi wimmerte, aber dann, als Mahagon seine Hand wegnahm, sah die Wunde schon um einiges besser aus - soweit man das durch den Einschnitt in Vivis Mantel sehen konnte.
Mahagon sah auf Vivis Unterarm, aus dem immer noch der blanke Knochen mit mittlerweile getrocknetem Blut ragte. Vivi sah ebenfalls auf den Knochenstumpf, und allein der Gedanke an das, was jetzt kommen wuerde, war genug, um ihn fast wieder ohnmaechtig werden zu lassen. Schweigend sah Mahagon auf zu ihm, und Vivi nickte leicht. Er nahm die Ecke seines Kragens wieder zwischen die Zaehne und schloss die Augen.
Einen Moment spaeter hatte er das Gefuehl, als wuerde eine kalte Eisenstange in seinen Arm geschoben werden, die seine Finger zum Zucken brachte - einen Augenblick dachte er, jemand haette Salzsaeure ueber seinen Arm gekippt und stiess einen vom Kragen, auf den er immer noch biss, gedaempften Schrei aus.
Mahagon schien das nicht zu beeindrucken, er riss Vivis Aermel lediglich ein wenig weiter auf und traeufelte den Rest der gruenblauen Fluessigkeit auf die nun wieder blutende Wunde. Der fuer Heiltraenke typische Dampf (Potion-Kondensat ... O_o) stieg auf, aber die Wunde war so gut wie geschlossen.
Mit Traenen in den Augen liess Vivi die Ecke seines Kragens endlich los und lag fuer einen Moment schlaff da. Mahagons Worte, er solle den Arm noch nicht zu dolle bewegen, hoerte er fast gar nicht. Ihm wurde wieder schwindelig, und er dachte, er wuerde wieder umkippen, aber der Schwindel legte sich schnell wieder. Probeweise bewegte er die Finger seines Armes ganz leicht. Er konnte sowohl den gebrochenen Knochen als auch die Schulter noch spueren, aber wenigstens hatte er nicht mehr diese hoellischen Schmerzen.
Vorsichtig setzte er sich auf. Mahagon hatte sich mittlerweile auf den Wagen neben ihm gesetzt, nachdem die anderen Maenner die leeren Saecke und Planen abgeladen hatten. Verwundert blickte er runter zu Vivi, der sich mit dem Aermel einmal durchs Gesicht wischte und dann zu Mahagon sah.
"D-danke ..." murmelte er. Er wusste nicht, wie er sich Mahagon gegenueber verhalten sollte. Jede Aktion, jedes Wort von ihm schien von Mahagon irgendwie falsch interpretiert zu werden. Mahagon war immer so ... kuehl, und irgendwie machte Vivi das Angst.
Aber warum hat er mir dann geholfen?
Das wusste Vivi in der Tat nicht. Er hatte Mahagon immer fuer einen Verbrecher gehalten, und das war er offensichtlich auch - und stolz war er auch noch drauf. Dieses Verhalten passte absolut nicht zu dem Mahagon Coral, den er kannte ... aber wer war er, sich zu beschweren?
Mahagon schien fuer einen Moment nachdenklich. "Wer hat dir das angetan, Kleiner?" fragte er schliesslich, mit gerunzelter Stirn.
In diesem Moment tauchte das schreckliche Bild des Jaegers wieder in Vivis Gedanken auf und ein kalter Schauer lief ihm ueber den Ruecken. Und das Dorf - er musste weiter - er musste das Dorf warnen ... oder retten. Retten, was noch zu retten war.
Gehetzt sah er Mahagon an. "D-das erklaere ich dir spaeter ... w-wie komme ich am schnellsten nach Lindblum?"
Mahagon hob eine Braue. "Lindblum? Was willst du denn da? Und weshalb hast du's so eilig?"
Vivi kaempfte gegen die ansteigende Panik in sich. "Da war so ein Mann, und ... ich muss auf dem schnellsten Weg nach Lindblum! Bitte!"
Der amuesierte Gesichtsausdruck Mahagons schien sich in etwas, was anscheinend die mahagonsche Variante von Sorge war, zu wandeln. "Lindblum ... da muesstest du durch's Suedtor mit der Bahn..."
Kaum hatte er seinen Satz beendet, sprang Vivi vom Wagen auf seine noch etwas wackeligen Beinchen, sah sich kurz um und ging geradewegs auf die Bahn zu. Ein wenig torkelte er noch, aber sein Ziel hatte er klar vor Augen.
Mahagon seufzte, drehte sich zu seinen Kollegen und hob zwei Finger an die Stirn. "Ich bin gleich wieder da." verabschiedete er sich und ging Vivi hinterher. Dieser schien noch etwas wackeliger auf den Beinen als Mahagon zuerst angenommen hatte, und so musste er sich nicht wirklich beeilen um den kleinen Schwarzmagier einzuholen.
"Ich weiss ja nicht, was dich treibt, aber ... " Mahagon musste schmunzeln, "Du siehst ziemlich entschlossen aus. Es wuerde wohl auch nichts bringen, wenn ich dir jetzt sagen wuerde, dass du so eine Reise alleine nicht schaffst, oder?"
Vivi sah hoch zu ihm. "I-ich muss es schaffen ... das Leben meiner Freunde haengt davon ab." Erwiderte er, als waere es seine Schuld. "Ich muss unbedingt nach Lindblum ... hoffentlich leiht mir Cid die Invincible."
Mahagon konnte das Bild, welches sich gerade vor seinem inneren Auge bildete, nicht verdraengen. Vivi auf 2 Kisten stehend am Steuerpult der Invincible. Er schuettelte ganz leicht grinsend den Kopf und erinnerte sich an die Crew, welche ja jetzt standardmaessig zur Invincible gehoerte.
Mittlerweile waren sie am oberen Einstieg der Bahn angekommen, und gedankenverloren wollte Vivi gerade einsteigen, als sich der Schaffner direkt vor ihn stellte. Er sah den kleinen Magier an, bekam kurz grosse Augen und schnaubte veraechtlich.
"Haben wir denn auch einen Passierschein, kleiner Mann?" saeuselte er zuckersuess. Vivi sah ihn gross an.
"P-Passierschein? W-was fuer einen Passierschein?" fragte er. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Was sollte er jetzt tun? Ohne Passierschein wuerde er ja nicht mal nach Lindblum kommen ...
"Natuerlich hat der 'kleine Mann' einen Passierschein." raunte Mahagon hinter ihm dunkel. Der Schaffner warf einen kritischen Blick auf das Papier, was Mahagon ihm entgegen streckte, nickte dann aber grimmig und trat zur Seite. Verwirrt sah Vivi hoch zu Mahagon, aber dieser schob ihn nur mit einer Hand in den Zug.
Vivi ging zu einem der ungemuetlichen Sitzplaetze und huepfte mehr oder weniger geschickt auf selbigen. Mahagon, der sich am Eingang den Kopf gestossen hatte und entsprechend am Fluchen war, setzte sich ihm gegenueber. Sollte Vivi ihn fragen, weshalb er das getan hat? Oder waere das unhoeflich? Wuerde Mahagon vielleicht sauer auf ihn werden, wenn er fragen wuerde? Oder wuerde er wieder gehen?
Mahagon nahm ihm diese Entscheidung ab. "Was ist? Worueber denkst du nach?" wollte er von dem kleinen Schwarzmagus wissen.
"Aeh... ich... ich wollte mich bedanken." erwiderte Vivi unsicher. Er hatte immer noch das Gefuehl, das alles falsch war, was er gegenueber diesem Mann sagte.
"Aber das ist doch selbstverstaendlich, unter ... wie nannte Zidane es? Partner? Kollegen?" Mahagon musste grinsen. "Ich habe einiges von dem kleinen verrueckten Jungen gelernt, man glaubt es kaum."
Vivi wollte gerade gegen den Ausdruck "verrueckt" protestieren, aber der Ausdruck in Mahagons Augen sagte ihm, dass er dieses "verrueckt" nicht ernst meinte. Vielmehr war es ein
lieb gemeinter Spitzname ... jedenfalls fuer Mahagon.
Mit einem Rucken und einem schrecklichen Knirschen setzte sich die Bergbahn in Bewegung und fing ihren gemuetlichen Aufstieg an. Vivi sah aus dem Fenster, und irgendwie nervte es ihn, dass die Bahn so langsam war. Aber dann dachte er daran, dass ihm im Moment wohl alles zu langsam waere, selbst die Invincible.
"Was ist es nun, dass dich bedrueckt?" brach Mahagon schliesslich die Stille. Vivi sah ihn blinzelnd an. Wie sollte er das alles erzaehlen, damit es ueberhaupt einen Sinn ergab? Es ergab ja nicht mal fuer IHN einen Sinn ...
* * *
Der Mann in der schwarzen Ruestung schritt auf und ab vor dem Kopfgeldjaeger. Seine Zuege schienen versteinert, so, als ob er noch nie gelaechelt haette. Jeder, der in dieses Gesicht gesehen haette, dem wuerden die Augen traenen. Fuer einen Moment sah es wie das ganz normale Gesicht eines jungen Mannes aus, aber wenn man laenger als einen Augenblick hinsah, so dachte man, man wuerde in ein komplett anderes Gesicht gucken. Und man konnte sich an das erste Gesicht nicht mehr erinnern ...
Ebenso ging es auch dem Jaeger, der vor dem Kaempfer auf einem Knie kniete und den Boden anstarrte. Er wuerde es sich nicht antun, noch einmal in das Gesicht dieses merkwuerdigen Mannes zu sehen. Er wollte seine Beute und mehr nicht. Dass er versagt hatte war fuer ihn nur eine kleine, unbedeutende Nebensache.
Fuer den Mann vor ihm allerdings nicht. "So..." fing der Ruestungstraeger an, und seine Stimme glich dem Gefuehl auf heissem Sand zu laufen, "Ihr habt also versagt, Jaeger."
Der Jaeger neigte als Antwort seinen Kopf noch tiefer.
"Was glaubt ihr, was ich nun mit euch tun werde?" fragte der Krieger, immer noch vor dem knieenden Jaeger auf- und abgehend. Der Jaeger schwieg, entweder traute er sich nicht, etwas zu sagen oder er wusste ganz einfach keine Antwort.
Mit einem Mal fuhr der Krieger herum, sein schwarzer Umhang schlang sich halb um seine Huefte und seine Beine, und bruellte den Jaeger an. "ANTWORTE MIR, DU WURM!!"
Unweigerlich zuckte der Krieger zusammen, behielt den Kopf jedoch unten. "Ich weiss es nicht." sagte er in einem Fluestern, was ueberhaupt nicht zu dieser Erscheinung von Mann passte. Er war wie ein Hund, den man mit der Zeitung geschlagen hatte.
Wuetend stand der Krieger in der mitternachtsschwarzen Ruestung vor ihm. "Ihr begebt euch jetzt zu diesem Dorf und holt diesen verdammten kleinen Schwarzmagier ... " fluesterte er, seine Stimme bedrohlich und tief.
Der Jaeger nickte einmal, stand auf, verneigte sich leicht und verliess den Raum. Alles, ohne dem Ruestungstraeger ins Gesicht zu blicken. Er schloss die massive Holztuer leise hinter sich.
Entnervt drehte sich der Mann um und ging auf eines der Fenster zu. Das Licht, was auf seine Ruestung fiel, wurde nicht reflektiert. Das schwarze Metall schien es zu ... schlucken. Er sah auf die weite, schneebedeckte Ebene, welche vor seinem Schloss lag und dachte nach.
Er vertraute diesem unfaehigen Menschen, diesem Jaeger, der sich von seinem Hass leiten liess, viel zu sehr. Wenn er es nochmal verpatzen wuerde, waere alles zerstoert. Er hatte den Jaeger zwar mit genug Macht ausgestattet, hatte ihn fast unbesiegbar gemacht ... aber was ist ein Dummkopf mit Macht, die er nicht zu nutzen weiss?
Nachdenklich fasste sich der dunkle Ritter ans Kinn. Er hatte dem Jaeger sogar telepatische Faehigkeiten gegeben. Das erlaubte ihm einerseits, anderer Leute Gedanken zu lesen - was durchaus ein Vorteil im Kampf war - andererseits war er damit selbst sehr anfaellig fuer telepatische Angriffe. Aber es gab auf dieser Welt keine Telepathen.
Oder?
Nein, das war ganz unmoeglich. Die kuemmerliche Menschheit hatte ueberhaupt nicht die Intelligenz dafuer. Theoretisch waere es moeglich, aber er hielt es fuer absolut undenkbar. Diese Menschen hatten ja nicht mal die Intelligenz, sich selbst vor dem Untergang zu retten.
Gruebelnd sah er den vereinzelten Schneeflocken zu, wie sie an dem Fenster vorrueberflogen. Menschen waren fast wie diese Schneeflocken ... aus welcher Richtung auch immer der Wind wehte, sie wuerden sich ihm anpassen, ihm gehorchen. Sie konnten gar nicht anders.
Wind ... ploetzlich hatte er eine Idee. Er wuerde selbst etwas Wind spielen, damit die paar kleinen Menschen ihm genau in die Arme liefen. Mit einem Grinsen auf dem Gesicht drehte er sich um und ging zu dem mannshohen Spiegel, der an der kurzen Wand des Raumes hing. Als er dort ankam, hatte er nicht mehr die schwarze Ruestung an. Er hatte jetzt eine rote Robe und einen roten Umhang an. Seine langen, grauen Haare wurden von vereinzelten, rot-weissen Federn geschmueckt.
Ja, so in etwa sah ein Rotmagier aus. Sie wuerden ihn so nicht erkennen.
Und Necron lachte.
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Hrhrhr! *reibt sich die Haende* Das ist fies, oder? Aber es soll ja auch Spannung fuer den Leser erzeugt werden ... ich liebe das, wenn die Leser machtlos dasitzen, waehrend einem Spion gerade der geheimste aller geheimen Plaene erzaehlt wird, weil die Charaktere nichts davon wissen.
*g* Ich bin gemein, oder? ;)
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